«Künstliches Licht hat einen Einfluss auf unsere innere Uhr»

Prof. Christian Cajochen beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Licht auf unsere Gesundheit. Im Interview mit dem Naturpark erklärt er, wie wichtig unser «innere Uhr» ist und was diese beeinflusst. Zudem erklärt er, welchen Einfluss das Licht auf unseren Schlaf hat. Am diesjährigen Gantrisch Forum wird er uns spannende Einblicke in seine Forschung geben – nicht zuletzt Tipps, was Schlaf und unternehmerischer Erfolg miteinander zu tun haben.

Titelbild: BAFU Severin Bigler Lunax

Herr Cajochen, Sie beschäftigen sich – ganz kurz gefasst – mit den Auswirkungen von Licht auf unsere Gesundheit. Können Sie Ihre Forschung näher erläutern?

In den 1980er-Jahren hat man angefangen, die Wirkung des Lichts auf den Menschen wissenschaftlich zu untersuchen. Dieser wissenschaftliche Bereich nennt sich Chronobiologie, also die Biologie der Zeit. Wir brauchen das Licht, damit wir sehen, aber es hat auch große Auswirkungen auf die Gesundheit. Licht bestimmt, wann wir ins Bett gehen und wann wir aufstehen. Licht wirkt nicht nur auf den Schlaf, sondern auch auf die Hirnleistung, die physische Leistung und das Gemüt. Wir kennen das: Sobald es schönes Wetter ist, geht es uns besser. Licht kann sogar eine Wirkung auf Depressionen haben. Die Kehrseite ist: Wenn man zu viel Licht ausgesetzt ist, ist das auch nicht gut für die Gesundheit. Diesen Wechselwirkungen gehe ich in meiner Forschung nach.

Wie sind Sie auf dieses Forschungsinteresse gekommen?

Ursprünglich habe ich Biologie studiert – und nach Ende meines Studiums wurde eine Stelle in der Schlafforschung frei. Das war damals ein neues Forschungsfeld, das mich sehr interessiert hat. Aber Schlaf ist nicht alles; das Feld der Chronobiologie geht noch viel weiter. Wir schlafen ja nur etwa 8 von 24 Stunden. In unserem Gehirn gibt es tatsächlich einen „Zeitgeber“, ein Areal des Hirns, etwa so groß wie ein Reiskorn. Patienten, die sich in dieser Hirnregion verletzen, haben plötzlich völlig irreguläre Schlaf-Wach-Muster. So ein kleines Hirnteil hat also riesige Auswirkungen! Diese Fragen haben mich sehr interessiert.

Es ist also gar nicht so, dass wir als Erwachsene selbst über unseren Schlaf-Wach-Rhythmus bestimmen?

Nein! Man meint immer, man geht willentlich schlafen und wacht willentlich auf, aber das würde auch geschehen, wenn man keinen Wecker hätte. Man kann diese innere Uhr nicht umpolen; man kann auf der Welt kein Dorf erschaffen, das einen umgekehrten Tag-Nacht-Rhythmus hat. Darum ist es auch so wahnsinnig schwierig, wenn Menschen Schichtarbeit machen müssen.

Christian Cajochen gewährt Einblicke in seine Forschung, Bild: Schaffhauser Nachrichten
Christian Cajochen gewährt Einblicke in seine Forschung, Bild: Schaffhauser Nachrichten

Ich habe aber zwei Kinder, die „ticken“ ganz unterschiedlich. Einer ist immer schon um 20 Uhr sehr müde, und der andere schläft nicht ein und kommt morgens kaum aus dem Bett.

Ja, das ist spannend: Ich gehe davon aus, dass Sie beide gleich erziehen, dass die Kinder dasselbe essen. Wahrscheinlich hat es chronobiologische Aspekte. Die innere Uhr tickt nicht bei beiden Menschen gleich. Einer tickt ein bisschen langsamer, sein „Tag“ dauert vielleicht 24,5 Stunden, darum ist er später müde. Die Uhr des anderen läuft ein bisschen schneller, darum ist er früher müde. Es gibt Gene, die diese innere Uhr steuern – man findet diese sogar bei Pflanzen!

Wie gut steht es um unseren Schlaf? Hat unsere Schlafdauer tatsächlich abgenommen?

Wir schlafen tatsächlich weniger als noch vor 30-40 Jahren, aber seit ein paar Jahren hat sich der Trend nicht weiter fortgesetzt. Es gibt allerdings immer mehr Leute, die sich über Schlafstörungen beklagen. Aus meiner Sicht hat dies vor allem damit zu tun, dass die Gesellschaft älter wird. Im Alter verändert sich der Schlaf. Hinzu kommt allerdings auch unsere ständige Erreichbarkeit. Der dritte Aspekt ist, dass sich die Leute Sorgen um den Schlaf machen. Das stresst sie, und Stress ist grundsätzlich schlecht für den Schlaf. Es gibt Leute, die messen ihre Schlafdauer mit ihrer Fitnessuhr und sind dann alarmiert, wenn der Balken auf dem Display nicht hoch genug ist. Zudem gibt es auch immer mehr Schlafkliniken – die Schlafmedizin als Wissenschaft hat sich etabliert. Früher wurde sie eher belächelt. Sicher spielt aber auch unser Verhalten eine Rolle. Wir verbringen heute einen großen Teil unseres Tages unter künstlichem Licht und sind weniger dem natürlichen Wechsel von Licht und Dunkel ausgesetzt. Dies hat einen Einfluss auf unsere innere Uhr. Ein Gärtner hat vermutlich weniger Schlafstörungen als ein Büromensch.

Wir alle kennen es: Nach einer schlechten Nacht ist man weniger leistungsfähig, reizbar, hat Kopfschmerzen. Doch was passiert da eigentlich genau?

Ich vergleiche Schlaf mit einem Reinigungsprogramm: Wir reinigen das Gehirn, indem wir überflüssige Erinnerungen aussortieren. Unser Immunsystem muss sich erholen, und auch der Metabolismus braucht eine Pause. Es ist tatsächlich wie ein Wiederinstandsetzungsprogramm. Wenn wir zu wenig schlafen, ist es so, als würden wir den Geschirrspüler zu früh abstellen: Das Geschirr ist nicht sauber. Übertragen auf den Menschen hat sich das Immunsystem nicht erholt, wir sind anfälliger, Verdauungsstörungen kommen hinzu, die Psyche ist auch nicht erholt, und wir sind reizbarer. Langfristig hat zu wenig Schlaf durchaus schädliche Auswirkungen: Flugbegleiterinnen haben z. B. ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs. Man muss dazu allerdings sagen, dass diese Effekte nicht sofort auftreten und immer verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, die sich kumulieren. Trotzdem ist der statistische Zusammenhang nachweislich. Die WHO stuft mittlerweile Schichtarbeit auch als potenziell krebserregend ein.

Gerade kürzlich haben Sie zusammen mit anderen Forschenden einen Artikel zu den Auswirkungen des Smartphones auf den Schlaf und die Gedächtnisleistung publiziert. Was haben Sie herausgefunden?

Wir haben schon sehr früh das Licht untersucht, das Smartphones emittieren. Wenn man zu viel Licht vom Smartphone bekommt, braucht man länger zum Einschlafen, und die Tiefschlafphase ist kürzer. Bei Jugendlichen hat man gar nicht so starke Effekte gesehen, denn der Schlaf von Jugendlichen ist grundsätzlich sehr robust. Das heißt aber nicht, dass es gut ist! Nur weil man z. B. keinen Effekt nachweisen kann, wenn jemand abends eine Zigarette raucht, heißt das ja nicht, dass alle abends eine Zigarette rauchen sollten!

Gemäß aktuellen Studien legen 95 % der Menschen ihr Handy aufs Nachttischchen – wie schlimm ist das? Und wie kommt man davon weg?

Wir empfehlen, das Smartphone zwei bis drei Stunden vor dem Schlafengehen nicht mehr zu nutzen. Dann kann der Körper herunterfahren. Wenn man keine Schlafstörung hat, ist es nicht so schlimm, wenn man sich nicht immer an diese Empfehlung hält. Aber sobald es Schwierigkeiten gibt, sollte man es weglegen.

Ohne Smartphone im Bett schläft man besser. Einblick in das Schlaflabor von Uni Nova.
Ohne Smartphone im Bett schläft man besser. Einblick in das Schlaflabor von Uni Nova.

Welche Tipps haben Sie sonst für eine gute Schlafhygiene?

Zentral ist die Regelmäßigkeit – was nicht heißt, dass man nicht einmal über die Stränge hauen darf. Etwa zwei bis drei Stunden vor dem Zubettgehen fängt der Körper an, vermehrt Melatonin zu produzieren, was uns schläfrig macht. Etwa zwei bis drei Stunden vor dem Aufwachen schüttet er vermehrt Cortisol aus, was uns wach macht. Diese Prozesse passen sich nicht auf die Schnelle an – darum macht uns z. B. auch der Jetlag Mühe. Daneben spielen auch weitere Faktoren eine Rolle: Eine angenehme Schlaftemperatur, wenig Licht, Ruhe und eine gewohnte Umgebung. Und eine gewisse Gelassenheit, wenn es einmal nicht klappt mit dem Schlaf. Alkohol ist übrigens nicht förderlich für einen guten Schlaf: Man schläft zwar schneller ein, aber nach zwei bis drei Stunden ist der Schlaf schlechter.

Sie werden Gast sein am jährlichen Gantrisch-Forum, einem Netzwerkanlass für die regionalen Wirtschaftsvertreter. Kann eigentlich auch ein Arbeitgeber etwas für den guten Schlaf seiner Mitarbeitenden tun?

Schlafen die Mitarbeitenden gut, haben alle etwas davon: Der Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und auch die Krankenkassen. Etliche Firmen engagieren sich mittlerweile in der Gesundheitsprävention. Auch Schlaf kann hier einbezogen werden. Unser Forschungsinstitut gibt mittlerweile auch Kurse zum Thema Schlaf für Firmen! Zudem sind flexible Arbeitszeiten förderlich, weil die Mitarbeitenden sich so besser nach ihrer inneren Uhr richten können. Und natürlich spielt auch die Arbeitsplatzbeleuchtung eine Rolle. Und… grundsätzlich ist die Frage „Wie schläfst du?“ oft viel aussagekräftiger als „Wie geht es dir?“. Man kann sie auch ins Mitarbeitergespräch einbauen!

Herr Cajochen, vielen Dank für dieses spannende Gespräch. Wir freuen uns bereits jetzt auf Ihren Vortrag am 23. Oktober in Schwarzenburg am Gantrisch-Forum!

Dr. Prof. Christian Cajochen - Dark Sky Herbst 2024
Dr. Prof. Christian Cajochen – Dark Sky Herbst 2024

Prof. Christian Cajochen

Prof. Christian Cajochen leitet das Institut für Chronobiologie der Universität Basel. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit den Auswirkungen von Licht auf unsere Gesundheit, erforscht, was unsere «innere Uhr» beeinflusst und berät Menschen, die schlecht schlafen.

Christian Cajochen hat für seine Arbeit zahlreiche Preise gewonnen und über 200 wissenschaftliche Artikel geschrieben. Am diesjährigen Gantrisch Forum gibt er uns spannende Einblicke in seine Forschung – und nicht zuletzt Tipps, was Schlaf und unternehmerischer Erfolg miteinander zu tun haben.

«Dark Sky Herbst 2024»

Dieses Interview entstand im Rahmen des «Dark Sky Herbst 2024». Auf Exkursionen, an Vorträgen, beim Sternenbeobachten, im Observatorium sowie bei vielen anderen Angeboten feiert die Region Gantrisch die Nacht. In der Herbstausgabe der Gantrisch Zeitung sowie auf unseren Social Media Kanälen lernst du mehr über die Lichtverschmutzung, den Wert der Nacht und weshalb es sich lohnt, die Nachtdunkelheit zu schützen.

Sei auch du ein Teil vom Dark Sky Herbst: Schalte deine Beleuchtung aus, komm mit auf eine Exkursion, nimm an der Nacht der Sterne teil und mach mit beim Wettbewerb «Mission: Rette die Nacht!».

Aktuelles aus dem Naturpark

Jeden Monat einmal treffen sich die Gantrisch Junior Rangerinnen und Ranger und packen gemeinsam an: Sie pflegen Hecken, reinigen Nistkästen und schwenten Alpweiden. Sie lernen während der praktischen Arbeit Zusammenhänge in der Natur kennen und haben Zeit zum Staunen, Beobachten und Diskutieren.
Sie suchen das Gespräch mit den Gästen, zeigen ihnen die Naturperlen der Region und was sie für deren Erhalt tun können: Die Parkbotschafter:innen des Naturparks Gantrisch. Zwei von ihnen erzählen von ihren Einsätzen, und warum sie Parkbotschafter geworden sind.
Nebst der Beweidung durch die Capra-Grigia Ziegenherde werden im Naturpark Gantrisch jedes Jahr viele verschiedene Natureinsätze mit Schulklassen, Firmen und privaten Freiwilligen durchgeführt. Bei Natureinsätzen auf Alpen werden, wie auch von Wanzi und ihrer Ziegenherde, wertvolle Flachmoore und Alpweiden entbuscht.
Wegwarte, Echtes Rapunzel, Ysop, Alant, Malve, Kerbel, Echter Eibisch, Mädesüss, Roter Sonnenhut, kleine Bibernelle, grosse Klette, Geissraute, Löffelkraut und Drachenkopf: Nein, wir befinden uns nicht in einem Fantasy-Film, sondern im fantasievollen Heilkräutergarten bei der Klosterruine Rüeggisberg mit Andreas Ramseier.