Vor lauter Wald sieht man die Bäume nicht mehr
Wälder schützen vor Naturgefahren, sie filtern Trinkwasser, bieten einen Lebensraum für viele Lebewesen sowie Raum zur Erholung, sie speichern CO2 und liefern den Energieträger und Werkstoff Holz. Dieser wiederum fördert das einheimische Gewerbe und sorgt für Arbeitsplätze in der Region.
Die Wälder und Bäume im Naturpark Gantrisch sind so vielseitig wie die Natur selbst, es gibt grössere, kleinere, dichtere und offenere Wälder. Und doch haben sie eines gemeinsam: Man sieht vor lauter Bäumen oft den Wald nicht mehr. Oder ist es vielleicht umgekehrt. Vor lauter Wald sieht man die einzelnen Bäume nicht mehr?
Für Hans Rudolf Scheuner, Betriebsleiter des Forstkommunalbetriebes Rüschegg und Revierförster Forst Gantrisch, ist der Wald tägliches Brot, sein Job, sein Leben. Er hat Mitte der 80er-Jahre in Rüschegg die Lehre als Forstwart absolviert und nun miterlebt, wie sich die Wälder im Naturpark Gantrisch in den letzten 40 Jahren weiterentwickelt haben. «Das fasziniert mich», sagt er, «als Förster ist man Gestalter des Waldes». Tannen, Buchen, Ahorne gibt es viele in den Plenterwäldern der Region. Ein Plenterwald ist ein naturnaher, sich stets verjüngender Wald, der von Menschen geschaffen und bewirtschaftet wird. Im Plenterwald finden wir kleinflächig Bäume aller Dimensionen und jeden Alters: «Bei der Nutzung entnehmen wir Bäume in allen Altersklassen mit dem Ziel, gesunde, stabile, stufige und mit Licht durchflutete Wälder zu erhalten.»
Es kommt vor, dass selbst der Förster manchmal vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Aber vor allem darum, weil sich Hans Rudolf Scheuner gerne mit einzelnen Bäumen befasst. Er entscheidet, welche gefällt werden dürfen, und steht allen Waldbesitzenden in der Gemeinde Rüschegg beratend zur Seite. Bäume werden unter anderem gefällt, wenn sie hiebsreif (bereit zum Ernten) oder krank sind und um Bodenverhältnisse zu schaffen, welche junge Bäume keimen und wachsen lassen.
Holz als Roh- und Werkstoff
Der Geruch von frisch gefälltem Holz, seine Haptik und die Maserung sind für Karin Remund, Leiterin Gesellschaft & Kultur beim Förderverein Region Gantrisch, das, was sie am Holz am meisten fasziniert. Als Holztechnikingenieurin und Schreinerin steht für sie das Holz als Werkstoff und Energieträger im Vordergrund. Sie sieht Holz klar als ein regionales Produkt: Ein Rohstoff, der in der Region wächst und für die Region wirtschaftlich einen hohen Nutzen aufweist.
Das regionale Holz ist jedoch nicht zu verwechseln mit den zertifizierten regionalen Lebensmitteln. Eine Zertifizierung von Holz ist schwierig, da die Wertschöpfungskette, z. B. bei Leimholz, Plattenwerkstoffen oft ausserhalb des Parkgebiets stattfindet. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) spricht grundsätzlich vom Label Schweizer Holz. Auch das FSC-Label ist bekannt. Es wird dennoch viel Holz aus der Region in den heimischen Sägewerken zu Bauholz verarbeitet.
So gibt es auch einen Link zur Baukultur im Naturpark Gantrisch, die es ohne Holz aus der Region so nicht geben würde. Ein Beispiel dafür ist der Spycherweg, der an vielen Spychern vorbeiführt und einen Teil der Baukultur-Geschichte der Region aufzeigt.
Vitaler Wald für gesundes Holz
Damit auch die Holzwirtschaft in der Region im Einklang bleibt, ist es wichtig, dass unsere Wälder bewirtschaftet werden. «Als Förster schaue ich darauf, dass die Wälder vital bleiben, denn nur vitale Wälder können ihre Funktionen erfüllen », erklärt Hans Rudolf Scheuner. Vitale Wälder speichern CO2 und reinigen so die Luft. «Eine gute und nachhaltige Nutzung unserer Wälder ist somit sehr wichtig.» Was wiederum bedeutet, dass es im Sinne der Natur ist, hin
und wieder Bäume zu fällen und den Fokus auf die Verjüngung des Waldes zu legen: «Meist wächst am Standort eines gefällten Baums automatisch eine Baumart nach, die dort auch hingehört». Je weniger dicht die Bäume sind, desto mehr Licht erreicht den Boden und fördert so das Wachstum von jungen Bäumen.
«Weil der Rohstoff Holz hier wächst, gibt es auch einige Sägereien sowie Schreinerei- und Holzbaubetriebe in der Region», lenkt der Förster das Gespräch
auf die regionale Wirtschaft. Dies fördert das Gewerbe im Gantrischgebiet und schafft Arbeitsplätze für die Einheimischen.
Ein Wald trotz Klimawandel?
Werden wir trotz des Klimawandels und den damit veränderten Bedingungen für die Natur in 50 Jahren auch noch Holz haben in der Region? «Es ist etwas im Gange, das ist klar», so der Förster, «es gibt Standorte, an denen sogar die beständigen Buchen absterben». Die Frage sei nun, ob und was an diesen Standorten nachkomme. «Das wissen wir schlicht nicht.» Hans Rudolf Scheuner ist aber überzeugt davon, dass die Natur vieles selbst regeln kann. Bäume seien Überlebenskünstler und könnten sich über Generationen hinweg daran gewöhnen, mit wenig Wasser zu leben. «Das Problem ist nur, dass alles zu
schnell geht. Die Natur braucht Zeit, um sich Veränderungen anzupassen. Das können Jahrhunderte sein.» In Panik zu verfallen sei aber der falsche Weg. «Man hat mir schon in den 80er-Jahren gesagt, dass es in zehn Jahren keinen Wald mehr geben wird. Das ist zum Glück nicht passiert.»
Was macht der Naturpark Gantrisch
für den Wald?
«Wir machen viel Öffentlichkeitsarbeit», wie Karin Remund, u. a. Leiterin der Holzkammer, erklärt. Damit spricht sie zum Beispiel die Wald- und Holztage Gantrisch an, die im Jahr 2022 das letzte Mal stattgefunden haben. Zudem ist die Holzkammer Gantrisch heute eine Begleitgruppe des Naturparks und sensibilisiert die Bauherren und Gemeinden in der Region zum Thema Bauen mit Holz. Ziel ist, dass möglichst viele mit dem regionalen Roh- und
Werkstoff Holz arbeiten. «Beton zum Beispiel verursacht bei der Herstellung viel CO2-Emissionen, Holz dagegen ist als Baustoff CO2-neutral», so die Holztechnikingenieurin. Im kommunalen Bereich gibt es immer mehr Bauprojekte, die aus regionalem Holz bestehen, zum Beispiel Feuerwehrmagazine, das Altersheim Riggishof, diverse Schulhäuser und Einfamilienhäuser. Auch macht der Naturpark seit Jahren Öffentlichkeitsarbeit für die Holzenergie. Im Gantrischgebiet sind in fast allen Gemeinden Wärmeverbünde mit Holzhackschnitzeln entstanden. Dank des regional vorhandenen und nachwachsenden Energieträgers ist die Region hierbei Vorreiterin. Die Holzkammer vergibt zudem Baumpatenschaften und hat einst die Parkführungen zum Thema Wald/Holz ins Leben gerufen, die nun vom Förderverein Region Gantrisch weitergeführt werden.
Der Gäggersteg ist das Vorzeigeprojekt funktionierender Zusammenarbeit in der Region. Er wurde vom Team Gäggersteg unter der Leitung von 5 Holzbaufirmen mit 50 Lernenden (Zimmermann/ Zimmerin) gebaut und besteht aus regionalem Holz. Die Burgergemeinden haben zwei Drittel des Holzes gespendet und die vier Sägereien im Naturpark haben zusammengearbeitet. Die Stahlteile wurden von einem Stahlbauer in Zusammenarbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung (Bernaville) gebaut. So entstand der Holzsteg, der sich mitten durch die Bäume im Waldreservat bei der Pfyffe schlängelt. Der Weg führt über das Sturmholz mit seinen wuchtigen Wurzeltellern und lässt die Besucher: innen die natürliche Wiederbewaldung im Reservat hautnah erleben. Dabei geniesst man auch eine hervorragende Aussicht auf die Gantrischkette. Auf dem dazugehörigen Familienweg kann viel über den Wald und seine Funktionen gelernt werden. Das Totholz zum Beispiel bietet vielen Organismen und Tieren eine Lebensgrundlage und trägt zur Biodiversität bei.
Der Gäggersteg
Martina Summermatter, Verantwortliche Kommunikation beim Naturpark Gantrisch
Foto Beitragsbild: Baum bei der Gibelegg, Artmax GmbH